Das Strafverfahren


Ablauf eines Strafverfahrens


Das Strafverfahren gliedert sich in drei Abschnitte mit jeweils ganz unterschiedlichen Aufgaben. Man unterscheidet zwischen Ermittlungsverfahren, gerichtlichem Verfahren und Vollstreckungsverfahren.


1. Das Ermittlungsverfahren
Das Ermittlungsverfahren (auch Vorverfahren genannt) dient der Ermittlung, ob der Beschuldigte einer Straftat hinreichend verdächtig ist, d.h. ob also nach vorläufiger Tatbewertung die Wahrscheinlichkeit einer späteren Verurteilung besteht, und ob gegen ihn eine öffentliche Klage (Anklage) erhoben werden soll. Das Ermittlungsverfahren steht unter der Herrschaft der Staatsanwaltschaft. Das Vorverfahren liegt in ihrer Hand.


Das Verfahren kommt in Gang, sobald die Staatsanwaltschaft durch eine Anzeige oder auf anderem Wege von dem Verdacht einer Straftat Kenntnis erlangt (§ 160 StPO). Ist dies der Fall erforscht die Staatsanwaltschaft den Sachverhalt. Hierbei hat sie nicht nur die zur Belastung, sondern auch die zur Entlastung dienenden Umstände zu ermitteln.


Bei ihren Ermittlungen wird die Staatsanwaltschaft durch andere staatliche Organe, vor allem von der Polizei unterstützt. Diese führt auf Anordnung der Staatsanwaltschaft verschiedenste Ermittlungsmaßnahmen, wie z.B. Vernehmungen und Durchsuchungen durch. In der Praxis wird meist die erste Ermittlungstätigkeit durch die Polizei vorgenommen, weil z.B. Strafanzeigen direkt bei ihr gestellt werden oder weil die Polizei auf anderem Wege noch vor der Staatsanwaltschaft von Straftaten Kenntnis erlangt. Die Polizei führt dann zunächst selbständig die Ermittlungen durch und legt eine entsprechende Akte an. Sobald der Vorgang „ausermittelt" ist, legt die Polizei die Akte der Staatsanwaltschaft vor. Diese legt nunmehr eine staatsanwaltliche Akte mit entsprechendem Aktenzeichen an. Soweit die Staatsanwaltschaft noch Ermittlungen für erforderlich hält, führt sie diese entweder selbst durch oder beauftragt die Polizei mit der Durchführung.


Ungeachtet der organisatorischen Selbständigkeit der Polizei bilden ihre Ermittlungen und die der Staatsanwaltschaft aber stets eine Einheit.


Gewisse Zwangsmaßnahmen (z.B. die Durchsuchung, Beschlagnahme oder die Anordnung der Untersuchungshaft) sind nur unter Mitwirkung des Gerichts zulässig. Die Staatsanwaltschaft stellt in diesen Fällen entsprechende Anträge beim zuständigen Ermittlungsrichter, soweit nicht eine besondere Dringlichkeit vorliegt und das Gesetz ausnahmsweise eine Anordnung durch die Staatsanwaltschaft oder auch der Polizei zulässt.


Am Ende des Ermittlungsverfahrens steht die abschließende Verfügung der Staatsanwaltschaft (also niemals der Polizei). Besteht hinreichender Verdacht einer Straftat, erhebt die Staatsanwaltschaft öffentliche Klage. Dies geschieht grundsätzlich durch Einreichung einer Anklageschrift bei dem zuständigen Gericht. Besteht kein hinreichender Tatverdacht, stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren ein. Zudem hat die Staatsanwaltschaft in bestimmten Fällen die Möglichkeit, das Verfahren aus prozessökonomischen Gründen nicht weiter zu verfolgen (z.B. § 154 StPO) oder (insbesondere bei Ersttätern) bis in Bereiche der mittleren Kriminalität mit Zustimmung des zuständigen Gerichts von einer Verfolgung abzusehen (z.B. §§ 153 und 153a StPO).


2. Das gerichtliche Verfahren
Das gerichtliche Verfahren ist zu unterteilen in das Zwischenverfahren und das Hauptverfahren.


a) Zwischenverfahren
Hat sich die Staatsanwaltschaft entschlossen, öffentliche Klage zu erheben, reicht sie bei dem zuständigen Gericht eine Anklageschrift ein. Welches Gericht im Einzelnen sachlich zuständig ist, richtet sich nach der Art und Schwere des Tatvorwurfs. Gesetzliche Grundlage für die Bestimmung des sachlich zuständigen Gerichts ist das Gerichtsverfassungsgesetz (GVG). Je nach Schwere des Tatvorwurfs entscheidet das Amtsgericht (Strafrichter oder Schöffengericht), das Landgericht (große Strafkammer, bei besonders schweren Tatvorwürfen, wie z.B. Mord, eine Strafkammer als Schwurgericht) oder bei Staatsschutzsachen (z.B. bei Hochverrat, Völkermord oder terroristischen Gewalttaten) das Oberlandesgericht.


Mit der Einreichung der Anklageschrift bei dem zuständigen Gericht beginnt das gerichtliche Zwischenverfahren (auch Eröffnungsverfahren genannt). In ihm prüft nunmehr das Gericht, ob der Angeschuldigte einer Straftat hinreichend verdächtig ist. Das Gericht teilt dem Angeschuldigten zunächst die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft mit. Der Angeschuldigte kann nun innerhalb einer ihm vom Gericht gesetzten Frist einzelne Beweiserhebungen beantragen oder Einwendungen gegen die Anklage vorbringen, mit denen sich das Gericht dann zu befassen hat. Auch das Gericht kann schon im Zwischenverfahren einzelne Beweise erheben, um den Sachverhalt weiter aufzuklären.


Kommt das Gericht am Ende des Zwischenverfahrens zu dem Ergebnis, dass der Angeschuldigte der Tat nicht hinreichend verdächtig ist, lehnt das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens ab. Andernfalls beschließt es die Eröffnung des Hauptverfahrens. In diesem Beschluss wird dann die Anklage der Staatsanwaltschaft zur Hauptverhandlung zugelassen. Zudem bestimmt das Gericht einen Hauptverhandlungstermin.


b) Hauptverfahren
Beschließt das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens beginnt mit diesem der Schwerpunkt des Strafverfahrens. Kern des Hauptverfahrens wiederum ist die Hauptverhandlung. In dieser wird über Schuld oder Unschuld des Angeklagten und über die Rechtsfolgen bei einem Schuldspruch entschieden. Das Gericht bereitet die Hauptverhandlung vor, indem es zunächst einen Termin anberaumt, zu dem die Hauptverhandlung stattfinden soll. Zudem werden der Angeklagte und die weiteren Beteiligten (Verteidiger, Zeugen usw.) zur Hauptverhandlung geladen. Der Eröffnungsbeschluss wird dem Angeklagten spätestens mit der Ladung zugestellt. Der Angeklagte kann die Ladung von Zeugen oder Sachverständigen oder die Herbeischaffung anderer Beweismittel beim Gericht beantragen und u.U. selbst Zeugen oder Sachverständige laden lassen (§§ 219, 220 StPO).


Die Hauptverhandlung (vgl. § 243 StPO) selbst beginnt mit dem Aufruf der Sache durch das Gericht. In dem Gerichtssaal sitzen am Richtertisch „vor Kopf" der oder die Richter und evtl. zusätzlich die Schöffen und ein Protokollführer. An einem der Tische vor dem Richtertisch nehmen der Angeklagte und sein Verteidiger Platz. Ihnen gegenüber sitzt der Staatsanwalt.


Der Vorsitzende stellt fest, ob der Angeklagte und der Verteidiger anwesend sind und die Beweismittel herbeigeschafft, insbesondere die geladenen Zeugen und Sachverständige erschienen sind. Nachdem die Zeugen daraufhin den Sitzungssaal zunächst verlassen, befragt das Gericht den Angeklagten zunächst über seine persönlichen Verhältnisse. Daraufhin verliest der Staatsanwalt den Anklagesatz aus der Anklagschrift. Danach wird der Angeklagte über sein Schweigerecht informiert. Entschließt sich der Angeklagte, Angaben zu machen, vernimmt ihn das Gericht zur Sache.


Sodann folgt die Beweisaufnahme. In ihr forscht das Gericht nach der Wahrheit (vgl. § 243 Abs. 2 StPO) und klärt den Tatvorwurf auf, indem es Zeugen und Sachverständige vernimmt und sonstige als Beweismittel dienende Schriftstücke und Gegenstände verwertet. Nachdem alle Beweismittel ausgeschöpft worden sind, schließt das Gericht die Beweisaufnahme.


Danach erhalten der Staatsanwalt und der Angeklagte zu ihren Ausführungen und Anträgen das Wort (Schlussvortrag oder auch Plädoyer genannt).


Dem Angeklagten gebührt stets das sog. „letzte Wort". Hierdurch erhält er Gelegenheit, noch etwas zu seiner Verteidigung vorzubringen, bevor sich das Gericht zur Beratung zurückzieht.


Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung geschöpften Überzeugung (Grundsatz der freien Beweiswürdigung, § 261 StPO). Hat das Gericht nach der Beweisaufnahme noch Zweifel an der Schuld des Angeklagten, muss es diesen freisprechen („Im Zweifel für den Angeklagten" oder auch „In dubio pro reo"). Nur wenn das Gericht von der Schuld des Angeklagten überzeugt ist, darf es ihn verurteilen.


Die Hauptverhandlung schließt mit der auf die Beratung folgenden Urteilsverkündung. Das Verfahren ist damit in der ersten Instanz abgeschlossen. Gegen das Urteil kann der Verurteilte oder auch die Staatsanwaltschaft nun innerhalb bestimmter Fristen Rechtsmittel (Berufung oder Revision) einlegen. Geschieht dies nicht oder bleiben Rechtsmittel erfolglos, wird das Urteil rechtskräftig, d.h. dass dieses nunmehr nicht mehr anfechtbar ist. Die Entscheidung, bei Verurteilung der Schuldspruch und die Rechtsfolgenentscheidung, wird unabänderlich. Eine Wiederaufnahme des Verfahrens ist nur in engen Grenzen möglich.


3. Das Vollstreckungsverfahren
Ist das Urteil rechtskräftig geworden, schließt sich das Vollstreckungsverfahren an. In diesem werden die in dem Urteil ausgesprochenen Rechtsfolgen der Tat (z.B. Geldstrafe oder Freiheitsstrafe) verwirklicht bzw. durchgesetzt. Die Strafvollstreckung erfolgt durch die Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde. Bei der Vollstreckung von Rechtsfolgen gegen Jugendliche oder gegen nach Jugendstrafrecht verurteilte Heranwachsende sind die Aufgaben der Vollstreckungsbehörde dem Jugendrichter als Vollstreckungsleiter übertragen (§ 82 Abs. 1 JGG). Rechtsgrundlagen der Strafvollstreckung sind u.a. die §§ 449 – 463 d StPO, die Strafvollstreckungsordnung (StVollstrO) und bei Geldstrafen auch die Justizbeitreibungsordnung (JBeitrO) sowie die Einforderungs- und Beitreibungsordnung (EBAO). Bei Freiheitsstrafen gehört i.w.S. zur Strafvollstreckung der eigentliche Strafvollzug, dessen Einzelheiten das Strafvollzugsgesetz (StVollzG) regelt.

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