Zeugenpflichten

Wer Zeuge ist, hat wahrheitsgemäß - aufgrund eigener sinnlicher Wahrnehmung - zu einem tatsächlichen Geschehen auszusagen und seine Aussage auf Verlagen erforderlichenfalls auch zu beeiden (Zeugenpflichten); es sei denn ihm steht ein Zeugnisverweigerungsrecht zu und er beruft sich darauf. Diese Pflichten eines Zeugen sind staatsbürgerliche Pflichten, die die Strafprozessordnung (StPO) voraussetzt und - anders als Zeugnisverweigerungsrechte - nicht erst begründet (vergleiche: BVerfGE 49, 280, 284). Deshalb steht einem Zeugen auch kein Entgelt für seine Tätigkeit (Aussage) zu, sondern lediglich eine Entschädigung für seinen Aufwand.

 

Fraglich ist, ob es ebenfalls eine Zeugenpflicht ist, zur Vernehmung zu erscheinen? Das hängt davon ab, welche Institution - Polizei / Staatsanwaltschaft / Gericht - den Zeugen zur Vernehmung (Aussage) vorgeladen hat.

 

In der Regel werden Zeugen zunächst (im Ermittlungsverfahren) durch Polizeibeamte (Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft) vorgeladen, eine Aussage bei der Polizei als Behörde zu machen. Anders als es oftmals in den Medien, insbesondere im TV, dargestellt wird, besteht keine Pflicht, einer solchen Ladung der Polizei nachzukommen, insbesondere nicht sofort oder zu einem Termin, der ungelegen ist. Dies gilt auch, wenn in der Ladung - gegebenenfalls - etwa der Hinweis enthalten ist, diese Ladung erfolge „auf staatsanwaltliche Weisung hin“. Tatsächlich kann die das Erscheinen des Zeugen nicht zwangsweise herbeiführen, denn es besteht keine Pflicht des Bürgers (Zeugen) auf Vorladung der Polizei zu erscheinen und auszusagen. Darüber wird der Zeuge jedoch nicht aufgeklärt und fast immer wird es anders suggeriert.

 

Im Unterschied dazu sind Zeugen allerdings verpflichtet, auf richterliche Ladung hin zu erscheinen und auszusagen. Diese Pflicht kann durch Zwangsmittel wie etwa Vorführung, Ordnungsgeld oder -haft auch durchgesetzt werden.

 

Fraglich ist, wie es sich verhält, wenn ein Zeugen tatsächlich die Ladung zur polizeilichen Vernehmung ignoriert oder dort - ohne dass ihm ein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht - keine Angaben macht?

 

Wie zuvor ausgeführt gar nichts. Allerdings dürfte dieser Zeuge alsbald - wenn es auf seine Aussage ankommt - durch die Staatsanwaltschaft zur Vernehmung vor geladen werden. Hier gilt dasselbe wie bei der richterlichen Ladung: Die Ladung und insbesondere die Aussage kann zwangsweise durchgesetzt werden.

 

Diese Vorgehensweise hat das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg (hOLG) bereits seit 2009 stark eingeschränkt (vergleiche: Beschluss, 2 Ws 95/09 vom 17.07.2009). Das Gericht hat festgelegt, dass diese Vorgehensweis unzulässig ist, wenn auch in dieser Konstellation die Vernehmung faktisch durch einen Polizeibeamten erfolgt und der Staatsanwalt lediglich anwesend ist. Das Gericht hat betont, dass die Staatsanwaltschaft die Vernehmung vielmehr auch konkret durchzuführen, das heißt in ihren wesentlichen Teilen zu prägen, und insbesondere das Protokoll (§ 161a StPO) zu unterzeichnen hat. Andernfalls handele es sich nicht um eine Vernehmung durch die Staatsanwaltschaft und es besteht für den Bürger (Zeugen) keine Pflicht zur Aussage.

 

In der Praxis sind diese Feinheiten für den Betroffenen nicht auszumachen. Vielmehr sieht sich der Zeuge schlicht der Macht der Staatsbeamten ausgesetzt und wird angesichts dieses Einschüchterungseffekts einfach seine Aussage machen und sei es bloß, um sich nicht selbst verdächtig zu machen und/ oder einer Strafverfolgung auszusetzen.

 

Daher ist es angezeigt, sich auch als Zeuge anwaltlicher Hilfe zu versichern und dass möglichst frühzeitig, also bereits wenn die Ladung der Polizei zugeht. Dadurch verhält man sich nicht etwa exotisch, sondern reagiert angemessen auf seine Pflicht als Staatsbürger, insbesondere wenn man die Tragweite und Umstände einer Zeugenaussage nicht sofort erfassen kann. Und dass ist die Regel. Denn es ist nicht nur möglich, sondern auch wahrscheinlich, dass man während seiner Zeugenvernehmung selbst zum Beschuldigten wird, insbesondere wenn sich der Sachverhalt mehrdeutig darstellt.

 

Die Grenzen sind dabei fließend: Ein Zeuge wird zum Beschuldigten, wenn sich ein zunächst gegebenenfalls bloß möglicher Verdacht zu einem konkreten Anfangsverdacht, für eine Straftat verantwortlich zu sein, verdichtet und die Strafverfolgungsbehörden (Polizei / Staatsanwaltschaft) daraufhin gezielte Ermittlungshandlungen gegen den (vormaligen) Zeugen, jetzt als Beschuldigten, einleiten.

 

Anders als dem Zeugen steht dem Beschuldigten das umfassende Recht zu, sich zum Tatvorwurf nicht zu äußern und er kann nicht dazu verpflichtet werden, aktiv bei der Beweisführung gegen sich selbst mitzuwirken (nemo-tenetur-Grundsatz).

 

Aber wem ist das schon präsent und in der jeweiligen Situation klar vor Augen? Daher empfiehlt es sich, sich in jeder Lage eines Verfahrens, sei es als Zeuge oder Beschuldigter, durch einen Rechtsanwalt (Strafverteidiger) vertreten zu lassen.