Befangenheit von Richtern, Schöffen oder Sachverständigen

Nach Artikel 101 Absatz 1 Satz 2 Grundgesetz (GG) hat jeder Beschuldigte Anspruch auf den gesetzlichen Richter:

„Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden“.

 

Für das Strafverfahren bedeutet dies, dass bereits vor Anklageerhebung feststehen muss, welcher Richter welchem Strafverfahren zwecks Entscheidung zugeordnet ist. Um diesen Verfassungsgrundsatz zu gewährleisten, erlassen die Gerichte Geschäftsverteilungspläne. Diese werden immer für die Zukunft erstellt. Damit soll zum einen verhindert werden, dass ein Richter speziell für einen bestimmten Beschuldigten oder für eine bestimmte Tat ausgewählt wird und zum anderen eine Befangenheit auf Seiten des Richters vermieden werden. Trotz dieser Maßnahme kann es in einzelnen Situationen dazu kommen, dass ein Verfahrensbeteiligter den Eindruck bekommt, der Richter sei befangen. Das Gesetz begegnet diesem Problem mit verschiedenen Normen in der Strafprozessordnung (StPO).

 

So sind in §§ 22, 23 StPO gesetzliche Ausschließungsgründe normiert. Ein Richter ist beispielsweise immer dann vom Verfahren ausgeschlossen, wenn eine bestimmte Nähe zwischen ihm und der Straftat beziehungsweise zwischen ihm und einem Verfahrensbeteiligten besteht. Für den Beschuldigten, den Staatsanwalt sowie den Privatkläger besteht darüber hinaus gemäß § 24 Absatz 2 StPO das Recht, einen von ihm für befangen erachteten Richter abzulehnen.

 

„Wegen Besorgnis der Befangenheit findet die Ablehnung statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen“

 

Dies ist ein elemtares Verfahrensrecht. Denn der Rechtsstaat hat jedem Beschuldigten einen unbefangenen und neutralen Richter zu garantieren. Liegt – objektiv – aus Sicht des Beschuldigten, des Staatsanwalts oder des Privatklägers die Besorgnis der Befangenheit vor, so muss der abgelehnte Richter unverzüglich aus dem Verfahren ausscheiden, wenn die Besorgnis der Befangenheit durch den Antragsteller hinreichend glaubhaft gemacht werden konnte. Darüber entscheidet gemäß § 27 StPO das Gericht, dem der Abgelehnte angehört, ohne dessen Mitwirkung, es sei denn das Gericht ist der Überzeugung, der Antrag auf Ablehnung ist in unzulässiger Weise gestellt worden. (§ 26a Absatz StPO).

 

Auf diese Weise abgelehnt werden können nicht nur Richter, sondern auch Schöffen, Sachverständige, Urkundenbeamte der Geschäftsstelle oder Patentprüfer. Nicht jedoch Zeugen und Staatsanwälte. Bei Staatsanwälten steht lediglich das Mittel der Dienstaufsichtsbeschwerde zur Verfügung. Hat der Befangenheitsantrag Erfolg, darf der abgelehnte Richter nicht mehr am Verfahren mitwirken. In der Regel führt dies zu einer Aussetzung der Hauptverhandlung. Der Strafprozess muss dann von neuem beginnen. Eine Ausnahme besteht nur dann, wenn Ergänzungsrichter zur Verfügung stehen.

 

Wann genau die Besorgnis der Befangenheit gegenüber einem Richter oder Schöffen besteht, muss am Einzelfall ermittelt werden. Dabei kann sich die Ablehnung eines Richters entweder auf das Verhalten des Richters im Strafprozess selbst stützen, zum Beispiel einseitiges Erteilen von Ratschlägen, oder aber auch auf ein Verhalten außerhalb der eigentlichen Hauptverhandlung. Die Rechtsprechung folgt hier keinem strikten Muster. Der Befangenheitsantrag ist eine Prozesshandlung, die nur direkt vom Beschuldigten und nicht vom Strafverteidiger durchgeführt werden kann. Dabei darf sich der Beschuldigte natürlich durch seinen Verteidiger helfen und auch vertreten lassen.

 

Bei der Frage, ob ein Befangenheitsantrag gestellt werden sollte oder nicht, sind immer die weiteren Folgen zu berücksichtigen. Je nach Verteidigungsstrategie kann es sinnvoll sein, dass ein möglicher Befangenheitsantrag nicht gestellt wird. Bietet zwar ein Richter durch sein Verhalten die Grundlage für eine Ablehnung kann aber trotzdem mit einem günstigen Verfahrensausgang gerechnet werden, ist es häufig sinnvoll den Antrag nicht zu stellen. Andererseits kann ein rechtswidrig abgelehnter Befangenheitsantrag den Erfolg in einer möglichen Revision sichern, da es sich hier um einen absoluten Revisionsgrund handelt. Somit muss auch hinsichtlich der Rechtsmittel immer überlegt werden, ob ein Befangenheitsantrag ratsam im Sinne der konkreten Strategie ist.